Open Access in der Rechts­wissen­schaft

Die Rechtswissenschaft erkannte die Relevanz von Open Access für die eigene Wissenschaftspraxis vergleichsweise spät. Rechtswissenschaftler*innen widmen sich zwar schon seit der Jahrtausendwende den "Rechtlichen Rahmenbedingungen von Open Access" (Spindler, 2006), untersuchen in Dissertationen die Bedeutung urheberrechtlicher Ausschlussmacht für die wissenschaftliche Informationsversorgung (Krujatz, 2012) und widmen den Rechtsfragen des Zugangs zum kulturellen Erbe sogar eigene Fachzeitschriften wie RuZ. Angewendet auf ihre eigene Publikationspraxis stößt das Thema hingegen noch heute bei vielen Rechtswissenschaftler*innen auf fragende Blicke oder Schulterzucken. Andere verwehren sich sogar dagegen, was jahrelange Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben kann. Die Gründe dafür sind vielfältig; mindestens acht (inzwischen hinterfragte) Thesen gegen Open Access in der Rechtswissenschaft werden häufig vorgebracht (Hamann & Hürlimann, 2019).

Während Open Access auch in der juristischen Forschungsförderung sowie von Universitäten zunehmend gefordert wird ("top down"), hat sich im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren vor allem ein informeller Verbund von Rechtswissenschaftler*innen und Bibliothekar*innen ("bottom up") für die Förderung des juristischen Open Access eingesetzt. Dieses jurOA-Netzwerk betreibt eine Mailingliste, die über Neuigkeiten zu Open Access in der Rechtswissenschaft berichtet, und veranstaltet seit 2016 regelmäßig Tagungen, die unter www.jurOA.de dokumentiert werden. Die in der Rechtswissenschaft etablierten Fachgesellschaften dagegen halten sich in der Open-Access-Debatte bisher zurück:

Zwar definiert die Zivilrechtslehrervereinigung in ihren Kriterien für die Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen auf dem Gebiet des Zivilrechts den "Rezeptionserfolg" als Leistungskriterium und benennt den "Publikationsort" als "Indiz für wissenschaftliche Qualität" – damit scheinen aber keine Aussagen über die Zugänglichkeit oder Nachnutzbarkeit von Publikationen verbunden zu sein. Auch in den allgemeinen Regeln zur "guten wissenschaftlichen Praxis" der Zivil- und Staatsrechtsrechtslehre taucht Open Access nicht auf. Der Schweizerische Juristenverein wurde von der Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften bzw. deren Richtlinien für die Gewährung von Beiträgen an Publikationen dazu gedrängt, kleine Schritte in Richtung Open Access zu gehen. Allerdings ist der im Jahr 2018 angekündigte freie Zugang zu sämtlichen Juristentagsreferaten seit 1862 bis heute (Mai 2021) nicht umgesetzt.

Open-Access-Zeit­schrif­ten

Das Directory of Open Access Journals (DOAJ) listet 657 Einträge zum Thema Law (Stand: Dezember 2021). Diese Zahl ist jedoch irreführend, da die Fachgebietszuordnung im DOAJ nicht immer stimmt, während umgekehrt viele juristische Internetzeitschriften gar nicht erfasst sind – sowohl aus dem deutschsprachigen Raum (Hamann, 2016: Rn. 24), als auch aus den USA (Severin et al., 2020: 16). Konkret ergab eine zum 1.8.2019 durchgeführte Studie, dass von elf im DOAJ erfassten juristischen Zeitschriften aus deutschsprachigen Ländern drei schon fachlich oder geographisch falsch zugeordnet waren, während 39 weitere Internetzeitschriften gar nicht erfasst waren (Hamann, 2019: 87 Fn. 11, S. 90 f.). Im DOAJ werden Zeitschriften nur auf Antrag indiziert, wobei das Antragsverfahren sehr aufwändig ausfällt und viele juristische Zeitschriften nicht jedes der strengen Aufnahmekriterien erfüllen.

Von den im DOAJ indizierten Rechtszeitschriften aus den deutschsprachigen Ländern (DE/AT/CH/LI) gehört nur eine - International Journal of Language & Law - zugleich zum Free Journal Network der noch kritischer kuratierten "Platin-Open-Access"-Zeitschriften. Bei anderen scheitert die Mitgliedschaft häufig daran, dass das FJN für jeden Artikel einen englischsprachigen Titel und Abstract verlangt. Zu den etabliertesten Titeln der deutschsprachigen Länder im DOAJ gehören:

Daneben existierten zum 1.8.2019 vierzig weitere juristische Internetzeitschriften aus dem deutschen Sprachraum. Im digitalen Handbuch Open Science findet sich eine öffentlich bearbeitbare Liste dieser Zeitschriften, die von jedermann aktualisiert und erweitert werden kann. Die ältesten davon erscheinen bereits seit 1995, die bislang größte Gründungswelle brachten die Jahre 2013/14 (siehe Abb. 1):

Während in Deutschland und in der Schweiz ein Anstieg an rechtswissenschaftlichen Open-Access-Zeitschriften zu beobachten ist und sich diese steigender Beliebtheit erfreuen, konnte sich in Österreich noch keine rechtswissenschaftliche Open-Access-Zeitschrift langfristig etablieren: Die beiden ältesten wurden bereits wieder eingestellt (Spektrum der Rechtswissenschaft) oder publizieren Inhalte eher sporadisch (so das Austrian Law Journal, das zwischen April 2019 und April 2021 nur drei Beiträge publizierte).

Außerhalb des deutschen Sprachraums bilden insbesondere die in US-amerikanischen Universitätsverlagen herausgegebenen und zumeist frei im Internet zugänglichen Law Reviews ein florierendes Ökosystem offener Wissenschaftstexte. Dessen Ursprünge reichen bereits weit zurück – wie beispielsweise die populäre Repositorien-Infrastruktur der Berkeley Electronic Press (Bepress). Viele der in diesem Ökosystem von Studierenden herausgegebenen Zeitschriften verwenden noch heute keine Open-Access-Lizenzen und lassen sich deshalb als "gratis" statt "libre" Open Access einstufen. Die kommerzielle Datenbank 1findr der Elsevier-Verlagsgruppe, die nicht nach Lizenzbedingungen differenziert, verzeichnet zum 19.5.2021 über 546.000 juristische Aufsätze in online "free" verfügbaren Fachzeitschriften.

Video zur Finanzierung von Open-Access-Artikeln

Open-Access-Bücher

Das Directory of Open Access Books (DOAB) und die Datenbank Open Access Publishing in European Networks (OAPEN) verzeichnen juristische Bücher jeweils in verschiedenen "subject classifications", die sich nicht gesammelt durchsuchen lassen. Dazu gehören (Stand Dezember 2021):

Über diese Kategorien hinweg verzeichnen beide Datenbanken also etwa neunhundert juristische Bücher, wobei einstweilen weder Mehrfachzählungen noch übersehene Kategorien ausgeschlossen werden können. Eine genauere Aufschlüsselung nach Verlagen, Erscheinungsjahren, usw. bedürfte wegen der disparaten Kategorisierungen einer eingehenderen empirischen Studie.

Zu den Vorreitern von Open-Access-Monografien gehörten in der Rechtswissenschaft weniger die etablierten Fachverlage als vielmehr Privatpersonen und gesellschaftliche Initiativen. Darunter etwa der Mannheimer Rechtsanwalt Thomas Fuchs mit seinen unter DeLegibus.com publizierten Aufsätzen und Editionsbänden (seit 1998), das Onlineportal jurawelt.com mit der "Juristischen Reihe TENEA" (115 Monografien 2002–2008) sowie der spätere Präsident des Schweizer Bundespatentgerichts Mark Schweizer mit seiner 2005 im Selbstverlag online publizierten Dissertation. Die ersten dedizierten Open-Access-Verlage der Rechtswissenschaft – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – dürften der Carl Grossmann Verlag in Deutschland (seit 2016) sowie der sui generis Verlag in der Schweiz (seit 2019) gewesen sein.

Nachdem das Open-Access-Modell auch von etablierten Verlagen entdeckt wurde, gehörte der Universitätsverlag Göttingen zu den frühesten und engagiertesten Akteuren mit rechtswissenschaftlichem Programm – sowie der Nomos-Verlag in Baden-Baden, der 201 Open-Access-Bücher in der Nomos eLibrary verzeichnet. Auch konservativere Verlage verfügen mittlerweile über Open-Access-Monografien, wie beispielsweise Mohr Siebeck mit 35 Titeln und Duncker & Humblot mit 8 Titeln (Stand jeweils Dezember 2021).

Diszipli­näre Reposi­torien

Disziplinäre Repositorien spielen in der Rechtswissenschaft bislang eine untergeordnete Rolle. Zu den wenigen Repositorien in der Rechtswissenschaft gehören:

Eine Übersicht zu relevanten Repositorien bietet das Open Directory of Open Access Repositories (OpenDOAR).

Video über das Zeitveröffentlichungsrecht

Literatur

Weiterführende Literatur

Bearbeitung der Inhalte dieser Seite: Dr. Daniel Hürlimann, Universität Freiburg i.Ü. und Dr. Dr. Hanjo Hamann, Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter (Stand: Dezember 2021)